Die Brachymetatarsie - wenn der Zeh ’zu kurz kommt’

In Deutschland ist ungefähr jeder 3000. Bundesbürger hiervon betroffen (in absoluten Zahlen also ca. 27.000 Menschen), Frauen dabei 26 Mal häufiger als Männer. Trotz medizinischer Fortschritte bleibt die Ursache dieser seltenen Deformität weiterhin unbekannt und stellt Experten vor ein Rätsel.
Unter dem verzerrten Erscheinungsbild des Fußes leiden viele Patienten. Neben dem ästhetischen Aspekt gibt ein beträchtlicher Prozentsatz der Brachymetatarsie-Patienten auch einen seelischen Leidensdruck an. Die psychische Belastung kann dabei erheblich sein und das tägliche Leben in vielerlei Hinsicht negativ beeinflussen. In meiner Praxis liegt dieser Anteil bei erstaunlichen 72%(!).
Ausdruck dieser seelischen Belastung können z.B. folgende sein:
- vermindertes Selbstwertgefühl
- das Gefühl, stigmatisiert zu sein
- Das Gefühl, nicht attraktiv zu sein und dadurch gelegentlich auch sexuelle Probleme zu entwickeln. Besonders alarmierend ist, dass 34% meiner Patienten sogar davor scheuen, den Fuß selbst dem eigenen Lebenspartner zu zeigen.
Vermeidungsverhalten: Viele Betroffene meiden Situationen, in denen sie ihre Füße entblößen müssten. Der Betroffene scheut das Barfußlaufen, Schwimmen, Tragen von offenen Schuhen in der Öffentlichkeit. Das bedeutet, dass Freizeitaktivitäten, die für andere selbstverständlich sind, für Menschen mit Brachymetatarsie oft zu einer Quelle von Stress und Unwohlsein werden. Das Genussempfinden eines Strandurlaubs beispielsweise ist dadurch empfindlich reduziert, da die Angst vor neugierigen Blicken oder unangebrachten Kommentaren stets präsent ist. Somit ist auch indirekt das Wohlbefinden des Lebenspartners betroffen.
Die Leidensgeschichte der Patienten mit einer Brachymetatarsie liest sich dabei fast immer gleich: Zunächst wächst über Jahre hinweg der Wunsch, etwas an der Situation zu ändern. Doch oft zögern die Betroffenen lange, ehe sie den Mut aufbringen, einen Arzt aufzusuchen. Entschließt sich ein(e) Betroffene(r) endlich dazu, nach viel innerer Auseinandersetzung einen Arzt aufzusuchen, bekommt sie/er meist die Antwort, dass man da nichts machen kann oder man sich damit abfinden soll. Diese Aussagen verstärken häufig das Gefühl der Hilflosigkeit und können die psychische Belastung weiter erhöhen. Nicht selten wird auch eine psychologische Therapie empfohlen.
Hierzu muss aus meiner Sicht folgendes gesagt werden:
Eine psychologische Therapie macht meines Erachtens wenig Sinn, da die seelische Belastung aus einer korrigierbaren Deformität entstanden ist und nicht umgekehrt, wie es beispielsweise bei psychosomatischen Erkrankungen der Fall wäre. Mit anderen Worten: Auch nach einer Psychotherapie bleibt die Ursache – der zu kurze Zeh – weiterhin bestehen, was bedeutet, dass der Leidensdruck nicht automatisch nachlässt.
Die gute Nachricht ist: Es gibt effiziente und moderne OP-Methoden zur Korrektur einer Brachymetatarsie, die bei sorgfältiger Durchführung und komplikationslosem Heilverlauf gute bis exzellente Ergebnisse liefern. Patienten berichten nach einer erfolgreichen OP oft von einem völlig neuen Körpergefühl, mehr Selbstbewusstsein und einer deutlich verbesserten Lebensqualität.

Die wichtigsten OP- Methoden sind hier aufgelistet:
- Die sog. 'One-stage'-Verlängerung des Mittelfußknochens mit einem Transplantat (Eigen- oder Kunstknochen). Hierbei wird die Korrektur durch einen einzigen operativen Eingriff erreicht, was für viele Patienten eine attraktive Option darstellt.
- Die sog. 'Kallus-Distraktion' mit einem Fixateur interne oder externe, bei der schrittweise über ein paar Monate der zu kurze Mittelfußknochen verlängert wird. Diese Methode erfordert Geduld, ermöglicht aber eine besonders präzise Anpassung.
- Die sagittale Scarf-Osteotomie (zur Korrektur von geringen Längenunterschieden)
Die Nachbehandlungsdauer richtet sich nach der gewählten OP-Methode und kann zwischen 10-12 Wochen liegen. Je nach individuellem Heilungsverlauf kann es aber auch länger dauern, bis das endgültige Ergebnis erreicht ist. Für den Erfolg und Ausgang der Operation ist es essentiell, dass der Eingriff durch eine hochspezialisierte Fachkraft durchgeführt wird. Der Operateur sollte zudem über umfangreiche Erfahrung mit diesen, teils sehr komplizierten, Techniken verfügen, um bestmögliche Ergebnisse zu gewährleisten.
Fazit:
Die Brachymetatarsie ist keine unveränderliche Gegebenheit, die hingenommen werden muss. Bei ästhetischen Problemen und/oder seelischem Leidensdruck kann sie effektiv operativ korrigiert werden, sodass die Patienten wieder unbeschwert durchs Leben gehen können. Durch den medizinischen Fortschritt und spezialisierte OP-Techniken ist es heute möglich, nicht nur das äußere Erscheinungsbild zu verbessern, sondern auch das persönliche Wohlbefinden erheblich zu steigern.
Adem Erdogan
Facharzt für Chirurgie
Zertifizierter Fußchirurg (GFFC)
Rekonstruktiver Fußchirurg