Labioplastik – medizinische Notwendigkeit oder weiblicher Anspruch?
Die Verkleinerung der kleinen Schamlippen wird für immer mehr Frauen zum Thema. Dass die Intimchirurgie an sich immer mehr in den Fokus der eigenen Betrachtung rückt und damit auch Auswirkungen auf die Öffentlichkeit hat, zeigt neben gesteigerter Medienpräsenz zu dieser Thematik auch die Gründung der neuen Gesellschaft für ästhetische und rekonstruktive Intimchirurgie (GAERID). Ziel dieser Fachgesellschaft, der Ärzte ausmehreren Fachgruppen angehören, ist es, neben dem Erfahrungsaustausch und der Erstellung von Richtlinien, Behandlungsstrategien für Ärzte und Patienten zu veröffentlichen und diese ernst zu nehmende Problematik der Frauen aus dem Tabubereich zu heben.
Wissenschaftliche Daten zu diesem Themenbereich sind bisher sehr übersichtlich und bedürfen in der Zukunft sicherlich einer Überarbeitung.
Grundlagen
Bereits der Begriff der »Schamlippe« (lat.: Labium pudendum: labium »Lippe« und pudendum »Scham«), manchmal auch als »Venuslippe«, nach der römischen Liebesgöttin Venus benannt, lässt einen Rückschluss auf die besondere Herausforderung in diesem Gebiet zu. Das Schamgefühl der Betroffenen ist nicht zu vernachlässigen.
Anatomisch bedecken die großen Schamlippen normalerweise die kleinen, nicht sichtbaren Schamlippen (Labiaeminorae pudendi), die auch als Nymphae bezeichnet werden.
Bei einer Hypertrophie der kleinen Schamlippen überragen diese die großen Schamlippen und können somit zu ästhetischen oder funktionellen Störungen führen. Dazu zählen im Wesentlichen mechanische Irritationen, die nicht selten zu Entzündungen, Schwellungen oder auch Schmerzen führen können.
Eine Vergrößerung der kleinen Labien kann durch individuelle Veranlagung oder imLaufe der Jahre durch stattgehabte Schwangerschaften oder Gewebeerschlaffung erfolgen.
Tabelle 1 | ||
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Sexualforscher Robert L. Dickinson: Vermessung der inneren Schamlippen an 2.981 Frauen | ||
Länge der Labien | Anzahl der Frauen | Anteil (%) |
0–2 cm | 2.613 | 87,7 |
2 cm | 146 | 4,9 |
3 cm | 170 | 5,7 |
4–5 cm | 321 | 1,1 |
5–6 cm | 20 | 0,7 |
Tabelle 2 | ||
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Genitalmaße (nach 4) | ||
Schwankungsbreite der Genitalmaße | mm | Mittel (Standardabweichung, SD) |
Länge Labia majora | 70–120 | 93 (13) |
Länge Labia minora | 20–100 | 60,6 (17,2) |
Breite Labia minora | 7–50 | 21,8 (9,4) |
Länge Vagina | 65–125 | 96 (15) |
Distanz: Klitoris–Urethra | 16–45 | 28,5 (7,1) |
Klitorislänge | 5–35 | 19,1 (8,7) |
Länge Perineum | 15–55 | 31,3 (8,5) |
Glansbreite | 3–10 | 5,5 (1,7) |
Genitalmaße sind individuell sehr verschieden. Große Schwankungen von Frau zu Frau bei Labien und Vagina. |
Tabelle 3 | |
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Bildung und Beruf | |
Schülerin | 3 |
Ausbildung | 1 |
Studentin | 3 |
Hausfrau | 0 |
Berufstätig nach Ausbildung | 11 |
– Physiotherapeutin | 3 |
– MFA | 3 |
– OP-Schwester | 2 |
Berufstätig nach Studium | 14 |
– Ärztinnen | 2 |
Für die Definition der Hypertrophie kleiner Schamlippen gibt es bisher keine einheitlichen Kriterien. Und dies obgleich bereits Ethnologen des 19. Jahrhunderts Frauen des Stammes der Khoi-Khoi im südlichen Afrika mit ungewöhnlich vergrößerten inneren Schamlippen beschrieben haben, die den Begriff der »Hottentottenschürze« prägten. Allerdings ist die Objektivität dieser Quellen fraglich, da viele Studien dieser Zeit rassistisch geprägt sind.
Übertragbar auf die heutige Zeit ist sicherlich, dass eine Variation der gesellschaftlichen Schönheitsvorstellungen bezüglich der Ausgeprägtheit der Schamlippen zwischen den Kulturkreisen existiert.
Merkmale, wie eine Länge der kleinen Labien größer als vier Zentimeter oder die Größe der kleinen Schamlippen in Relation zu den äußeren Schamlippen mit konsekutivemHervorstehen, scheinen zielführender zu sein. Nicht zu vernachlässigen scheint allerdings, die seit einigen Jahrenmodern gewordene komplette Rasur der Schambehaarung, die ein anderes Bewusstsein für den Intimbereichmit sich führte.
Bereits 1971 hat der Genitalforscher Robert L. Dickinson (1) die Vermessungen der kleinen Schamlippen an 2.981 Frauen vorgenommen (Tab. 1). Der größte Anteil lag bei einer Labienlänge zwischen 0–2 cm. Eine kleinere empirische Erhebung von Jillian Lloyd et al. (2) an 50 Frauen im Alter von 18 bis 50 Jahren stellte eine innere Schamlippenlänge zwischen 0,7–5 cm (Mittelwert: 2,18 cm) fest.
2009 wurde darauf hingewiesen (3), dass die Genitalmaße der Frau großen Schwankungen unterliegen und individuell sehr variabel sind.
Die Gründe für eine Labioplastik sind sicherlich vielfältig und beinhalten – neben demrein ästhetischenWunsch – Überschneidungen mit dem medizinischen Indikationsbereich. Amhäufigsten werden dabei Schmerzen bei sportlicher Betätigung (z.B. Fahrradfahren), beim Geschlechtsverkehr, Be schwerden beim Sitzen oder Tragen enger Klei - dung, Strings oder Bikinis angegeben.
Abb. 1: Patientin, 32 Jahre, keine Kinder. Nachher |
Abb. 2: Patientin, 29 Jahre, keine Kinder. Postoperativ SSL |
Belastend für die Pa tientinnen sind auch vorhandene anatomische Asymmetrien oder Veränderungen nach einer Entbindung.
Nicht zu unterschätzen ist der psychischer Leidensdruck, der nicht selten zu Partnerproblemen führt oder gar ein Zu rückziehen aus der Öffentlichkeit be wirken kann. Auch Bemerkungen von Partnern/Fremden scheinen nicht selten vorzukommen.
Eigene Patientinnendaten
Die Durchsicht des eigenen Patientinnendaten zeigte, dass sich im Zeitraum von September bis Dezember 2012 32 Patientinnen einer Schamlippenverkleinerung unterzogen. Die Altersspanne lag zwischen 16 und 61 Jahren mit einem Altersdurchschnitt von 33,4 Jahren.
Bezüglich der Lebenssituation waren 23 Frauen ledig, neun Frauen verheiratet.
25 Patientinnen hatten zum Zeitpunkt der Operation keine Kinder geboren, zwei Frauen hatten ein Kind, vier Frauen zwei Kinder und eine Frau sechs Kinder zur Welt gebracht. Der Durchschnitt lag somit bei 0,6 Kindern pro Frau.
25 Frauen waren berufstätig (Tab. 3), drei Schülerinnen, eine Frau befand sich in Ausbildung und drei waren Studentinnen.
Schmerzen bei sportlicher Betätigung beklagten acht Frauen, in Ruhe eine und beim Sitzen drei Frauen. Be - schwerden beim Tragen enger Kleidung, Strings, Bikinis wurden von 10 Frauen angegeben.
Abb. 3: Patientin, 41 Jahre, ein Kind. Nach acht Wochen |
Eine mechanische Irritation im Intimbereich gaben sieben Patientinnen an. Eine ausgeprägte Asymmetrie lag bei zwei Frauen vor, weitere zwei be - klagten Veränderungen nach Entbindung.
Psychischer Leidensdruck führten sechs Patientinnen an, zwei beklagten Partnerprobleme und zwei gaben an, unter Bemerkungen von Partnern/ Fremden zu leiden.
Der ästhetische Wunsch nach einer operativen Korrektur stand bei 23 Frauen im Vordergrund.
Der operative Eingriff wurde regelhaft in Steinschnittlage bei einer Opera - tionsdauer zwischen 35–60 Minuten durchgeführt. 30 Eingriffe erfolgten ambulant, zwei dagegen unter statio - nären Bedingungen. Ursache dafür war in einem Fall die Kombination mit einer Brustoperation.
In Vollnarkose wurden zwei Labienkorrekturen durchgeführt, die restlichen 30 in Lokalanästhesie mit Sedierung.
In allen Fällen wurde resorbierbares Nahtmaterial verwendet. Die Opera - tionsaufklärung erfolgte, wie gefordert, schonungslos, insbesondere hinsichtlich möglicher Komplikationen.
Operationstechnisch fand die Keilex - zision keine Anwendung (Abb. 1 u. 2), stattdessen wurde die longitudinale Resektion bevorzugt, um eine Harmonisierung der kleinen Labien zu erzielen. Eine Klitorismantelstraffung wur - de in drei Fällen mit durchgeführt.
Die Nachbehandlung erfolgte nach ei - nem standardisierten Schema mit Sitzbad, gegebenenfalls lokal Bepan then® Wund- und Heilsalbe, körperliche Schonung, Verzicht von sportlicher Betätigung und Geschlechtsverkehr für mindestens drei Wochen.
Fazit
Die durchschnittliche Altersgruppe im Bereich Anfang bis Mitte 30 Jahre lässt darauf schließen, dass bei den betroffenen Frauen eine reifliche Überlegung mit einem entsprechenden Reifeprozess über den Operationswunsch stattgefunden hat.
Tendenziell liegt ebenfalls eine höhere Bildung und Verständnis für den operativen Eingriff vor. Ebenso haben häufiger Frauen ohne Kinder und häufiger ledige Frauen den Wunsch nach einer Schamlippenverkleinerung.
Ästhetik scheint insgesamt eine größere Rolle zu spielen als die medizinische Notwendigkeit. Das heißt letztlich: Weiblicher Anspruch dominiert die medizinische Notwendigkeit, bedeutet aber nicht nur Ästhetik.