Ästhetik verlangt Ethik
Frau Dr. Berger Sie haben im Zusammenhang mit den öffentlich vermarkteten Schönheitsoperationen von Brigitte Nielsen den Ausdruck Boulevard-Chirurgie geprägt. Sie kritisieren die Verharmlosung von medizinischen Eingriffen und die Verherrlichung von oberflächlichen Schönheitsidealen. Dabei leisten doch nicht zuletzt die Fortschritte der ästhetischen Chirurgie dieser Entwicklung Vorschub. Was ist daran schlimm, wenn immer mehr Menschen diese Möglichkeiten für sich nutzen wollen?
Frau Dr. Berger: Das ist eben die Frage, ob sie ihnen immer nützen. Vieles ist möglich, nicht alles ist nötig. Manches sogar schädlich. Vor allem, wenn Sie bedenken, dass sich jeder in Deutschland Schönheitschirurg nennen darf, ohne jemals eine chirurgische Ausbildung erhalten zu haben. Die Folge: Unerfahrene Operateure treffen immer häufiger auf unerschrockene Patienten. Diese Entwicklung macht mir Sorgen.
Was sollte sich Ihrer Meinung nach ändern?
Frau Dr. Berger: Die Fortschritte der modernen Ästhetik bringen den Menschen nur etwas, wenn sie mit der notwendigen Verantwortung und Fürsorge eingesetzt werden. Die Patienten wiederum sollten wieder realistischer mit ihren Erwartungen umgehen. Bei den Vorstellungen, mit denen manche Hilfesuchende in meine Praxis kommen, versagt selbst die fortschrittlichste Medizin.
Wieso?
Frau Dr. Berger: Weil viele glauben, dass man alle Probleme einfach wegoperieren kann. Wenn eine Frau mich unter Tränen bittet, eine Narbe an ihrer Brust zu entfernen, weil sonst ihre Ehe scheitert, bin ich sicher, dass das eigentliche Problem auch nach der OP noch existiert. Ganz heikel wird es bei Frauen, die sich vaginal verengen lassen möchten, in der Hoffnung auf ein besseres Sexualleben. Dass sie damit Entzündungen und sogar einen kompletten Vaginalverschluss riskieren, scheint sie nicht weiter zu interessieren. Dagegen ist der Wunsch eines jungen Mannes nach dünneren Lippen, damit er beim Lachen mehr Zähne zeigen kann, fast schon liebenswert naiv. Die grundsätzliche Schwierigkeit ist jedoch meist die gleiche. Diese Menschen können keine liebevolle Beziehung zu sich selbst aufbauen. Da soll wenigstens ihr Spiegelbild einer oberflächlichen Beurteilung standhalten.
[Doctors_module_]Wohl auch einer Beurteilung durch Kollegen oder Partner?
Frau Dr. Berger: Ja natürlich. Der Wunsch, bei der Partnerwahl erfolgreich zu sein, steht klar im Vordergrund. Dabei wissen solche Menschen oftmals gar nicht, was eine feste Beziehung bedeutet – weil sie noch nie eine hatten. Ich schicke viele dieser Leute nach Hause und bitte sie, sich einmal zu überlegen, was sie machen würden, wenn sie ernsthaft krank wären – eine Gesichtsverbrennung erlitten hätten oder wegen Krebs eine Brust amputiert bekommen müssten.
Das heißt, Sie müssen zunehmend auch psychotherapeutische Aufgaben übernehmen?
Frau Dr. Berger: Nein, das können die Kollegen des entsprechenden Fachgebiets viel besser. Ich sehe meine Aufgabe als gewissenhafte Ärztin vielmehr darin, manche Patienten vor sich selbst und ihren absonderlichen Ideen zu schützen. Ästhetik verlangt - mehr denn je - nach Ethik. Das ist mein Credo.
Verlieren Sie mit dieser Einstellung nicht immer wieder Patienten, die andernorts auf offenere Ohren stoßen?
Frau Dr. Berger: Davon gehe ich aus. Doch damit kann ich sehr gut leben. Denn andererseits genieße ich das Vertrauensverhältnis zu meinen Patienten, die wissen, dass ich nur nach eingehender Beratung und mit den entsprechenden Erfolgsaussichten zu einer Operation rate. Deshalb macht mir mein Beruf heute noch so viel Spaß wie vor fünfzehn Jahren.
Auch wenn Sie immer häufiger mit absonderlichen Bitten um Nasenverkleinerungen und Brustvergrößerungen konfrontiert werden?
Frau Dr. Berger: Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ich habe überhaupt nichts gegen Nasen- oder Brustkorrekturen, wenn sie sinnvoll sind. Eine schüchterne, graue Maus, die nach einer Brust-OP zu einer strahlenden, jungen Frau aufblüht, hat offensichtlich keinen Psychiater gebraucht. Das sind die Momente, in denen ich weiß, warum ich diese Arbeit mache. Sie kann buchstäblich Leben verändern. Gleichzeitig gilt aber auch: Eine noch so gute Schönheits-OP kann niemals Persönlichkeit ersetzen.
Frau Dr. Berger, wir danken Ihnen für dieses offene Gespräch, das sicher viele zum Nachdenken anregen wird.