Ästhetik verlangt Ethik

Ästhetik verlangt Ethik
Von Dr. med. Petra Berger
Dr. med. Petra Berger arbeitet nach dem Leitsatz, dass Schönheit und Gesundheit zusammengehören. Daher legt die Expertin besonderen Wert auf natürliche, ästhetische Ergebnisse.
Erstellt am 19.11.2009 · Aktualisierung: 9.04.2021

Frau Dr. Berger Sie haben im Zusammenhang mit den öffentlich vermarkteten Schönheitsoperationen von Brigitte Nielsen den Ausdruck Boulevard-Chirurgie geprägt. Sie kritisieren die Verharmlosung von medizinischen Eingriffen und die Verherrlichung von oberflächlichen Schönheitsidealen. Dabei leisten doch nicht zuletzt die Fortschritte der ästhetischen Chirurgie dieser Entwicklung Vorschub. Was ist daran schlimm, wenn immer mehr Menschen diese Möglich­keiten für sich nutzen wollen?

Frau Dr. Berger: Das ist eben die Frage, ob sie ihnen immer nützen. Vieles ist möglich, nicht alles ist nötig. Manches sogar schädlich. Vor allem, wenn Sie beden­ken, dass sich jeder in Deutschland Schön­heits­­chirurg nennen darf, ohne jemals eine chirur­gische Ausbildung erhalten zu haben. Die Folge: Unerfahrene Operateure treffen immer häufiger auf unerschrockene Patienten. Diese Entwicklung macht mir Sorgen.

Was sollte sich Ihrer Meinung nach ändern?

Frau Dr. Berger: Die Fortschritte der modernen Ästhetik bringen den Menschen nur etwas, wenn sie mit der notwendigen Verantwortung und Fürsorge eingesetzt werden. Die Patienten wiederum sollten wieder realistischer mit ihren Erwartungen umgehen. Bei den Vorstellungen, mit denen manche Hilfe­suchen­de in meine Praxis kommen, versagt selbst die fort­schritt­lichste Medizin.

Wieso?

Frau Dr. Berger: Weil viele glauben, dass man alle Probleme einfach wegoperieren kann. Wenn eine Frau mich unter Tränen bittet, eine Narbe an ihrer Brust zu entfernen, weil sonst ihre Ehe scheitert, bin ich sicher, dass das eigentliche Problem auch nach der OP noch existiert. Ganz heikel wird es bei Frauen, die sich vaginal verengen lassen möchten, in der Hoffnung auf ein besseres Sexualleben. Dass sie damit Entzündun­gen und sogar einen kompletten Vaginalverschluss riskieren, scheint sie nicht weiter zu interessieren. Dagegen ist der Wunsch eines jungen Mannes nach dünneren Lippen, damit er beim Lachen mehr Zähne zeigen kann, fast schon liebens­wert naiv. Die grund­sätzliche Schwierigkeit ist jedoch meist die gleiche. Diese Menschen können keine liebevolle Beziehung zu sich selbst aufbauen. Da soll wenigstens ihr Spiegel­bild einer oberflächlichen Beurteilung standhalten.

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Wohl auch einer Beurteilung durch Kollegen oder Partner?

Frau Dr. Berger: Ja natürlich. Der Wunsch, bei der Partnerwahl erfolgreich zu sein, steht klar im Vorder­­grund. Dabei wissen solche Menschen oftmals gar nicht, was eine feste Beziehung bedeutet – weil sie noch nie eine hatten. Ich schicke viele dieser Leute nach Hause und bitte sie, sich einmal zu überlegen, was sie machen würden, wenn sie ernsthaft krank wären – eine Gesichtsverbrennung erlitten hätten oder wegen Krebs eine Brust amputiert bekommen müssten.

Das heißt, Sie müssen zunehmend auch psycho­therapeu­tische Aufgaben übernehmen?

Frau Dr. Berger: Nein, das können die Kollegen des entsprechenden Fachgebiets viel besser. Ich sehe meine Aufgabe als gewissenhafte Ärztin vielmehr darin, manche Patienten vor sich selbst und ihren absonderlichen Ideen zu schützen. Ästhetik verlangt - mehr denn je - nach Ethik. Das ist mein Credo.

Verlieren Sie mit dieser Einstellung nicht immer wieder Patienten, die andernorts auf offenere Ohren stoßen?

Frau Dr. Berger: Davon gehe ich aus. Doch damit kann ich sehr gut leben. Denn andererseits genieße ich das Vertrauensverhältnis zu meinen Patienten, die wissen, dass ich nur nach eingehender Beratung und mit den entsprechenden Erfolgsaussichten zu einer Operation rate. Deshalb macht mir mein Beruf heute noch so viel Spaß wie vor fünfzehn Jahren.

Auch wenn Sie immer häufiger mit absonderlichen Bitten um Nasenverkleinerungen und Brustvergröße­run­gen konfrontiert werden?

Frau Dr. Berger: Um keine Missverständnisse auf­kommen zu lassen: Ich habe überhaupt nichts gegen Nasen- oder Brustkorrekturen, wenn sie sinn­voll sind. Eine schüchterne, graue Maus, die nach einer Brust-OP zu einer strahlenden, jungen Frau auf­blüht, hat offen­sichtlich keinen Psychiater ge­braucht. Das sind die Momente, in denen ich weiß, warum ich diese Arbeit mache. Sie kann buchstäblich Leben verändern. Gleich­zeitig gilt aber auch: Eine noch so gute Schönheits-OP kann niemals Persönlichkeit ersetzen.

Frau Dr. Berger, wir danken Ihnen für dieses offene Ge­spräch, das sicher viele zum Nachdenken anregen wird.

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